Monday, 19. June 2006


Das Regime in Peking duldet keine Kritik an seiner Politik. Das beweist der Fall von Fu Xiancai, der nach einem ARD-Interview auf offener Straße niedergeschlagen wurde.

Fu Xiancai sollte zum Schweigen gebracht werden. Seine ständigen Proteste gegen den Drei-Schluchten-Damm waren den chinesischen Behörden seit langem ein Dorn im Auge. Zuletzt hatte die ARD ein Interview mit dem Aktivisten ausgestrahlt. Ein Polizist zitierte Fu Xiancai deswegen in sein Büro.

Solche "oppositionellen Interviews" mit der ausländischen Presse würden "keine guten Konsequenzen" für ihn nach sich ziehen, warnte Wang. Kurz darauf sollte klar werden, was der Polizist gemeint hatte: Auf dem Heimweg von der Polizeistation wurde Fu Xiancai auf offener Straße überfallen.

Eine "unbekannte Person schlug ihn von hinten mit einem schweren Objekt nieder", berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights in China (HRIC). Dann ließ man ihn bewusstlos am Wegrand liegen. Erst eine halbe Stunde später wurde Fu von einem Passanten gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Das Röntgenbild zeigte eine angebrochene Halswirbelsäule. Vermutlich wird er vom Hals abwärts gelähmt bleiben.
Tätliche Angriffe häufen sich
Interviews mit Menschenrechtlern und Journalisten in China bestätigen die Vermutung, dass dies ein Racheakt der Behörden war. So berichtet etwa der Korrespondent des britischen Independent, dass Fu schon im März unter ständigen Einschüchterungen durch die Polizei litt. "Als ich nach dem Interview sein Haus verließ, schellte Fu Xiancais Handy. Er lächelte und sagte, die Polizei weiß, dass du hier bist", berichtet der Reporter. Nach anderen Interviews mit amerikanischen Journalisten erhielt er anonyme Todesdrohungen. Eines Tages lagen Kränze vor seiner Tür, dazu Papiergeld, wie es traditionell bei Beerdigungen verbrannt wird.

Fu Xiancai ist einer von mehr als einer Million Menschen, die wegen des gigantischen Drei-Schluchten-Dammes umgesiedelt worden sind. Er ist zum Fürsprecher für die vielen Nachbarn geworden, die sich von der Regierung um eine ausreichende Entschädigung geprellt fühlen.
Leider ist der Fall Fu Xiancai kein Einzelfall. Immer häufiger sind in China in jüngster Zeit Bürgerrechtler, Anwälte oder Menschenrechtsaktivisten tätlich angegriffen worden, um sie von ihrem Einsatz für die Opfer staatlicher Gewalt oder von Interviews mit ausländischen Medien abzuschrecken. Manchmal prügeln Staatssicherheit und Polizei selbst. Immer öfter aber verrichten lokale Schlägerbanden diese "Schmutzarbeit" für die Behörden.
Repression vor allem für Journalisten gefährlich
Es gibt Dutzende Beispiele: In Dingzhou, Provinz Hebei, fielen vor einem Jahr 250 bewaffnete Schläger über protestierende Bauern her. Mindestens sechs der friedlichen Demonstranten starben. Ein Gericht stellte später fest, dass der örtliche Parteisekretär den Überfall angeordnet hatte. Während bei einzelnen Fällen von Protesten eine "weniger strenge Repression" der Zentralregierung in Peking zu beobachten sei, gebe es gleichzeitig eine "beunruhigende neue Bedrohung" örtlicher Bürgerrechtler "durch Schläger und gewalttätige Banden, die von örtlichen Potentaten angeheuert werden", sagt der Dissident Han Dongfang in Hongkong.

Deutsche und andere westliche Journalisten können ihre Recherchen in China bislang weit gehend ohne Androhung körperlicher Gewalt verrichten. Nur selten ist es zu brutalen Angriffen gekommen, so etwa der Überfall 1992 auf Todd Carrel von ABC News, der nach Handkantenschlägen chinesischer Geheimdienstler Schäden an der Wirbelsäule davontrug. Journalisten leiden jedoch unter permanenter Überwachung, Gängelung und der Filterung ihrer E-Mails.

Wirklich gefährlich ist die Repression für chinesische Journalisten, die zu Hunderten in Gefängnissen und Arbeitslagern sitzen. Ihre genaue Zahl kennt niemand. Anfang dieses Jahres starb der 41-jährige Journalist Wu Xianghu in Taizhou, nachdem er von Verkehrspolizisten verprügelt worden war, die sich über einen seiner Artikel geärgert hatten. Fu Xiancai habe wegen seiner schweren Verletzungen "die Kontrolle über alle körperlichen Funktionen verloren", berichtet Human Rights Watch, "nur sprechen kann er noch". Man hat ihn also nicht zum Schweigen gebracht.

[sueddeutsche.de]

 
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